DIE VIER WEISEN

Drama in 5 Akten

T: du?!

A: du?!

G: ich?

A: du.

C: was denn?

A: nicht du. du.

T: irgendwas stimmt hier nicht. 

C: ich? 

A: du 

T: seid still!

A: ja, du. 

C: was denn?

T: seid still

A: du knirscht mit den Zaehnen 

C: stimmt nicht!

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T: irgendwas stimmt hier nicht!

G: was denn?

A: nicht du!

C: „und ein schiff mit acht Segeln…“

T: seid still, irgendwas stimmt hier nicht. 

A: doch

T: nein! irgendwas stimmt nicht

C: „und mit vierzig Kanonen“

G: wo?!

A: seid still. ich will schlafen. nachts kommen keine Schiffe mehr.

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T: irgendwas stimmt hier nicht. seid still.

C: “und dann sage ich: hoppla!” 

G: Was denn?

C: da war ein Fisch

G: echt?

C: nein, kein Hecht, ich glaube, es war ein Lachs

G: echt?

C: nein, Lachs

A: ist mir Lachs ob ein echt oder Lachs, ich will schlafen. seid doch endlich still!

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T: ich glaube ich weiss es

G: also Lachs oder Hecht?

T: ne, irgendwas stimmt wirklich nicht. Doch die Hunte ist so schoen, nachts, voll von Geflacker, wer wirft all die Lichter nachts ins Wasser?

C: “Wird beschiessen die Stadt.”

A: Nein, nicht schon wieder! Ich habe damals ordentlich was abbekommen

G: ich auch, den einen Riss spüre ich immer noch, wenn der Wind von Norden geht

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T: wo bleibt eigentlich der Rauchheld? Der laesst sich auch nicht mehr blicken. Der haette gleich verstanden, was hier nicht stimmt. Wasser!

C: Rauchheld? Wer war das nochmal?

A: danke. Jetzt bin ich durch euer Geschnacke wieder wach.

G: Ach der mit dem Schnaeuzer? Den habe ich auch lange nicht gesehen. 

T: der haette uns sagen koennen, was hier los ist

C: Was soll denn los sein?

T: Wasser! ach, egal. Geht schlafen

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A: jetzt kann ich nicht mehr schlafen

G: du hast recht

A: ich?

G: nein, du

T: ich

G: ja, du. Irgendwas stimmt hier nicht

C: jetzt fang nicht auch du damit an. das ist echt die Kirsche auf dem Eisberg. Seit Monaten hoere ich staendig: “irgendwas stimmt hier nicht, irgendwas stimmt hier nicht…”

G: aber ja! Ich habe lange schon niemanden da unten herueber laufen sehen, auch keine Fahrraeder, keine Automobile, und diese ganz großen Teile, die uns so lustig gekitzelt haben, schon lange nicht mehr.

T: genau. Ihr guckt zu selten um euch herum, ihr senilen Greise, ihr merkt gar nichts mehr. Wasser. ueberall Wasser.

G: Ich merke es doch gerade. Du hast recht. Vielleicht kann man das von unserer Seite aus besser beurteilen. Die Damen gegenueber haben eine andere Perspektive.

A: Ach was? Jetzt kommst du wieder mit der alten Leier wegen Arbeiterviertel, Revolution, Sozialismus, Gleichheit, Bruederlichkeit und Alhambra.

T: Komm rueber, Du Hund! 

A: Ja wie denn, du Kanaille! 

C: Nach all den Jahren, da haette ich mir mehr erhofft. 

Gerade weil das Dorf nicht gerade um die Ecke liegt. Verstaubt. Gammelt vor sich hin. Warum seid ihr eigentlich so entspannt? 

A: Merkt ihr denn gar nichts? 

G: Ist halt schwierig jetzt. 

A: Frueher war das definitiv besser und anders. 

T: Ich habe mich ja immer als Brueckenbauer gesehen. Ich selbst stehe nur noch auf einem halben Bein. Wacklig irgendwie. Wahrscheinlich warten wir ohne Hoffnung. 

A: Gegen diesen Gedanken wehre ich mich aber noch immer. 

T: Ja, das koennte sein. Was denkt ihr? Was ist mit euch los? Ihr aeußert euch nie dazu. Opportunisten. 

A: Liberale halt! Kannste vergessen. 

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G: Da Brueckenwirtin macht auf. 

A: Ist unsere Verbindung eigentlich fuer immer geschlossen oder einfach dauerhaft auf? Wir koennen die entstandene Luecke nicht ueberbruecken. Sie wird uns dauerhaft in Verbindung halten. 

C: Ich schreibe dir. Melde du dich aber bitte auch bei mir. Wer bin ich ueberhaupt? Gibt es ein Ich? Kann nicht mal jemand anders? 

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A: Warum koennen wir nicht einfach weitermachen wie bisher? Wir koennten einfach weiter so stehen. Fuer immer. Immer wieder auf den Fruehling warten. 

T: Wasser. Das Wasser steht uns bis zum Hals. Hoffentlich fliesst es einfach weiter, man guckt und es fliesst und fliesst und fliesst. 

G: Wirklich nicht zu stoppen. Obwohl ich alles so gerne anhalten wuerde. 

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T: Jetzt muss eine Entscheidung getroffen werden. 

C: Ich erinnere mich noch an den Moment, als wir uns zum ersten Mal getroffen haben. 

A: Die waren nicht so nett, und haben gestunken. Das war echt ekelig. Verwest du von innen? 

G: Guck mal, meine Naegel. 

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G: Das Wasser ruehrt sich schon. Daran merke ich es immer zuerst. Scheint tief zu sitzen… und zu warten? 

T: Ich finde, da ist nix zu machen. 

C: Man hoert uns auch nicht zu. Niemand hat sich je geschert.

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 A: Vielleicht muessten wir mal wieder etwas gemeinsam unternehmen. Die Jungs von der Schleuse besuchen, so wie frueher auf ein Herrengedeck am Sonntag. Auch wenn ich da meistens schlafe. 

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C: Bis auf einige vorsichtige Schulterblicke ist nichts passiert. Seit Jahren nichts mehr. Wie langweilig, findet ihr nicht? Ich schon. 

A: Immer diese Osternburger. Einfaches Landvolk. 

T: Aber echt. 

G: Eigentlich voll mein Ding. Nicht so intellektuell. 

A: Manchmal moechte ich einfach nur schlafen und von dieser Zeit traeumen. von den warmen Oefen im Schloss. 

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A: Es gibt heute einfach keinen Lichtblick. Die Sonne so bleich, weil die Wetterlage hier wie immer total beschissen ist. 

A: Habt ihr das Wasser heute morgen gesehen? 

T: Morgen. Ich sehe kein Morgen. 

G: Mal so ein anstaendiger Rueckblick. 

C: Aber so kann es nicht stimmen. Es ist ein allgemeines Gefuehl der Dysballance, welches uns hier vereint. Aber jetzt sind wir getrennt. 

A: Fuehlt sich seltsam an! Hoert mal, hat sich veraendert. Klingt anders. 

G: Sieht man nicht. 

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T: Da hinten braut sich was zusammen. Fast so, als waere der Ruf der Stadt wieder staerker. 

A: Manchmal denke ich, dass es wenig Sinn hat, weiter Selbstgespraeche zu fuehren. 

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C: Also mir ist schon seit Tagen uebel und jetzt nervt mich sogar eure Praesenz. 

T: Wir werden eh bald alle verschwinden. Heimlich, wenn sich die Augen auf die Wellen richten. Hoer auf mir damit die Loecher zuzujaulen. Sonst zeige ich dir einen anderen Zeitvertreib. 

G: Wie waere es mit Angeln? 

C: Auch gut. Eigentlich ist es mir aber egal. 

T: Macht doch, was ihr wollt. Ich bin da raus. Ich sag heut nix mehr.

A: Erinnert ihr euch an diesen komischen Kerl auf seinem Pony. 

T: Reiten oder was? Ist doch was fuer Maedels. Aber ihr Goeren habt ja eh keine Ahnung davon. Oder doch? 

C. Damals gab es einfach noch keine Avocado Creme. 

G: Das einzige, wofuer ich brenne, sind Kartoffeln mit Butter. 

A: Oh, wie lecker. 

G: Es riecht wirklich gut. Weht hier rueber. 

T: Hunger, Durst, was auch immer. 

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G: Es wird jetzt schon wieder so frueh dunkel. Und dann im Dunkeln hoch, runter, Treppe, Signal, Bruecke heben. Und so weiter. Das war schon was. 

C: Schoene Zeit. Schoene Zeit. 

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C: Lasst uns mal wieder singen. 

G: Wo? Wo ist die Freude? Alkohol! Alkohol – Wo bleibt der Schampus? 

A: Das waren noch Zeiten. 

G: Jetzt nur noch Lidl-Sekt. Wisst ihr noch, als Lidl noch Hertie war? Und davor war es irgendwas anderes? 

C: Hae? Versteh ich nicht. 

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C: Wo kommen die denn jetzt her? Tja, bloed gelaufen, was? Sackgasse. Da muss man halt den bitteren Apfel schlucken. 

T: Sag ich doch. Backstein vergisst nicht so schnell. Stahl ist da etwas einfacher. Aber Wasser traegt einfach nicht. Kalt erwischt. 

A: sag ich ja. Falsche Schlampe. Verlorenes Miststueck. Ich bringe sie um. Um. Aus, vorbei. Hat doch eh alles keinen Sinn. 

G: Gin Win Win, wuerde ich sagen. 

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C: Ach, herrlich. Hier an der frischen Luft. Atmet mal ganz tief ein. Koennt ihr es schon riechen? 

G: Schmecken, Fuehlen und Hoeren sind ja jetzt weniger gefragt. Alles nur noch dagital oder digitol? Wie auch immer.

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T: Mein Nacken tut weh. Tun eure Nacken auch weh? 

A: Hmmm. Seit zwei oder drei Jahren. Ist aber besser. Bei dir auch? 

C: Ja, sehr. 

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G: Ich sehe einfach keinen Sinn darin. 

C: Also in Schweden ist es noch kaelter, hab ich gehoert. Mich stoert es nicht sonderlich. 

T: Was anderes habe ich von dir auch nicht erwartet. Nichts fuer Ungut, aber Papa Rauchheld hat sich das so nicht gedacht! Ich auch nicht. Ich verstehe das. Habt ihr auch Ruecken? Gehen wir DOCH alle zusammen zum Arzt. 

G: Ich kann doch nicht mit dir gehen. Ich kann mit dir stehen. 

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A: Andererseits koennte ich auch einfach die Augen schließen. Das Verlangen danach uebernimmt einfach. 

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T: Manchmal fehlt mir einfach der Draht zu euch. Wisst ihr, was ich meine? Nichts gegen dich. Aber du gehst mir schon aufs Fundament. Da staunst du Baukloetze. Alles wackelt. Meine Baukloetze fallen auf die Straße. Netze ueberall. Aua, Kopf! Du? 

G: Ich auch. Irgendwas stimmt hier wirklich nicht. 

T: Wasser 

G: Ja. Was ist denn? 

T: Ich kuemmere mich darum. Das wird schon. 

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C: Aber wenn wir einfach für immer schlafen, dann tut es vielleicht nicht mehr weh. Findet ihr nicht? 

G: Ja, kann man so sehen. Wenn ihr das alle so seht. 

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A: Ich bin dabei einzuschlafen. Es ist schon echt spaet. 

A: Und genau das versuche ich zu sagen. Lasst uns ein für alle Mal den Vorhang schließen. Wir machen Schluss. 

T: Machen wir nicht. Es geht immer weiter. Vielleicht werden wir eine Schule, ein Hochbeet oder so? 

G: Ach ja, ist auch egal jetzt. Reicht für heute. 

C(singt): Und sie wissen immer noch nicht, wer ich bin.

Und sie wissen immer noch nicht, wer ich bin.

Aber eines Abends wird ein Getoes sein am Hafen

Und man fragt “Was ist das fuer ein Getoes?”

Und man wird mich stehen sehen 

Und man fragt “Was laechelt die so boes?“

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Und das Schiff mit acht Segeln

Und mit fuenfzig Kanonen

Wird beschiessen die Stadt.

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Meine Herren, da wird ihr Lachen aufhoeren

Denn die Mauern werden fallen hin

Und die Stadt wird gemacht dem Erdboden gleich.

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Und das Schiff mit acht Segeln

Und mit fuenfzig Kanonen

Wird beflaggen den Mast

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Und es werden kommen hundert gen Mittag an Land

Und werden in den Schatten treten

Und fangen einen jeglichen aus jeglicher Tuer

Und legen ihn in Ketten und bringen vor mir

Und mich fragen “Welchen sollen wir toeten?”

Und an diesem Mittag wird es still sein am Hafen

Wenn man fragt, wer wohl sterben muss.

Und dann werden Sie mich sagen hoeren “Alle!”

Und wenn dann der Kopf faellt, sage ich”Hoppla!”

Und das Schiff mit acht Segeln

Und mit fuenfzig Kanonen

Wird entschwinden mit mir.

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C: Und Sie wissen nicht, mit wem Sie reden. Und Sie wissen nicht mal, dass die andere Seite ueberlebt hat. 

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A: Wo soll das nur enden? 

G: Ich. Ich. Also. Ich verstehe zwar noch nicht, was das soll. Aber warum eigentlich immer diese Aggression? Koennen wir uns nicht mal entspannen oder wieder anspannen? Wo ist die Spannung? 

C: Ich finde es nicht spannend. 

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T: Ich sehe das anders. Entweder ihr erklaert mir das jetzt mal, oder ihr akzeptiert meine Unwissenheit. 

C: Banausen. 

T: Immer dieser Quatsch. 

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A: Keine Vision. 

T: Wer Visionen hat, sollte zum Augenarzt. 

A: Ich habe immer gedacht, wir bleiben ewig. 

G: Aber das ist doch voll doof. Die Schwester ist auch schon lange weg. 

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A: Was solls? Koennen wir nicht einfach mal aufhoeren? Immer wieder kommt dieses Gefuehl, dass es einfach nicht passt. 

T: Ich glaube, du solltest jetzt wirklich schlafen. Lehn dich zurück. Ich bin Osternburger! von Oldenburgern brauch ich mir nichts sagen lassen. Aber ich will mich jetzt auch nicht streiten. 

G: Ja, wie jetzt? Beruhigt euch bitte mal wieder. Immer diese Aufregung. Ich finde das alles sehr verstaendlich. Aber ist das jetzt endgueltig? Sehen wir uns dann noch ab und zu? Und wie wuerdet ihr es machen? 

A: Das Innere zeigt sich immer. Irgendwann. 

C: Ach ja? Tja. 

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Ich fuehle mich gerade ziemlich befreit.